Wie jedes Jahr fand im niedersächsischen Goslar der Deutsche Verkehrsgerichtstag, hier der insgesamt 56. statt. Dort diskutierten Juristen, Wissenschaftler, Politiker und Spezialisten von Automobil- und Serviceclubs sowie Ministerien und Behörden aktuelle Themen rund um den Straßenverkehr.
Die mehr als 1800 Verkehrsexperten hatten in acht Arbeitskreisen u.a. über den Nutzen höherer Bußgelder für die Verkehrssicherheit und über eine neue Fassung des „Unfallflucht“-Paragrafen im Strafgesetzbuch beraten. Zu den weiteren Themen zählten Cannabis am Steuer, rechtliche Fragen des automatisierten Fahrens und überhöhte Gebühren, die deutsche Autofahrer nach Begehung kleinerer Verkehrsverstöße im Ausland an private Inkassobüros zahlen sollen.
Am 25. Januar wurde der Verkehrsgerichtstag in der Kaiserpfalz mit einer – wie schon seit Jahren – interessanten Eröffnungsansprache durch Generalbundesanwalt a.D. Kay Nehm und der Begrüßungsansprache durch den Oberbürgermeister der Stadt Goslar Dr. Oliver Junk eingeleitet. Mit dem Plenarvortrag referierte Prof. Dr. Henning Kagermann, Präsident acatech, über das Thema: Autonome Systeme – Auswirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft.
Nach der Tagung der Arbeitskreise wurden zum Abschluss des Kongresses von den Teilnehmern die Arbeitsergebnisse als Empfehlungen an den Gesetzgeber ausgesprochen.
Zuvor hatten sich Vertreter verschiedener Landesverkehrswachten, so auch Mitglieder verschiedener hessischer Orts- und Kreisverkehrswachten, die die Deutschen Verkehrswacht vertraten und natürlich auch interessiert an der Tagung teilnahmen, auf Einladung der DVW im Hotel „Achtermann“ versammelt, lauschten u. a. den Ausführungen des Präsidenten Prof. Kurt Bodewig und nahmen einen Körper und Geist stärkenden Imbiss ein, um dann anschließend die jeweiligen Arbeitskreise aufzusuchen.
Der Präsident der LVW Hessen nahm am Arbeitskreis „Sanktionen“ bei Verkehrsverstößen mit dem Schwerpunktthema Höhere Bußgelder: Heilmittel oder Abzocke? teil und nahm zur Kenntnis, dass, nachdem 1973 14 000 Verkehrstote zu beklagen gewesen seien, zum 1.5.1974 die Einführung der „Verkehrssünderkartei“ mit Punkten erfolgt sei. Danach sei eine erhebliche Novellierung mit teilweiser Anhebung der Geldbußen im Falle der „Nichtbepunktung“ für nicht verkehrssicherheitsrelevante Ordnungswidrigkeiten mit einem neuem Punktesystem eingeführt worden.
Für einen Praktiker war es nachvollziehbar, dass der Arbeitskreis mit seiner Empfehlung eine pauschale Erhöhung der Bußgeldsätze abgelehnt hat. Richtig ist dabei auch, dass überhöhte Geschwindigkeiten, die nichts mit Geschwindigkeitsbeschränkungen, aber sehr viel mit der konkreten Verkehrssituation, wobei 20 km/h auch dort, wo sich kein Verkehrszeichen befindet, zu schnell sein und damit sehr häufig zu Verkehrsunfällen beitragen können.
Im Übrigen sind „Handyverstöße“ nur ein – in der Praxis häufig anzutreffendes - Beispiel, bei dem die Ahndung, nicht zuletzt wegen unzureichender Polizeiausstattung schwierig ist. Obwohl es sich beim Überholvorgang um eines der gefährlichsten Fahrmanöver handelt, ist es erstaunlich, wie gering in diesem Bereich die Sanktionen sind.
Der Arbeitskreis hat aber eine spürbare Anhebung der Geldbußen empfohlen, verbunden mit verstärkter Androhung von Fahrverboten, für besonders verkehrssicherheitsrelevante Verkehrsverfehlungen (namentlich Geschwindigkeits-, Abstands- oder Überhohlverstöße) unter Berücksichtigung des jeweiligen Gefährdungspotentials und der Verkehrssituation. Dies muß einhergehen mit einer nachdrücklicheren und effektiveren Verkehrsüberwachung, gerade an Unfallhäufungs- und Gefährdungsstellen.
Einem „Einkalkulieren“ von Geldbußen muss entgegengewirkt werden. Umgekehrt darf nicht der Eindruck der „Abzocke“ unter fiskalischen Gesichtspunkten entstehen.
In dem stark besuchten Arbeitskreis „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“ wird u. a. als Thema gefragt, ob dieser Straftatbestand noch zeitgemäß sei. Diese Frage erscheint berechtigt, zumal die strafrechtlichen und versicherungs- vertragsrechtlichen Regelungen zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort zu gewichtigen Rechtsunsicherheiten führen und Verkehrsteilnehmer überfordert werden könnten. Vor diesem Hintergrund erinnert der Arbeitskreis daran, dass § 142 StGB ausschließlich zum Schutz Unfallbeteiligter und Geschädigter an der Durchsetzung berechtigter und der Abwehr unberechtigter Schadensansprüche diene. Außerdem sollten die Möglichkeiten der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe bei tätiger Reue in § 142 Abs. 4 StGB reformiert werden. Im Übrigen sollte die Begrenzung auf Unfälle außerhalb des fließenden Verkehrs entfallen und die Regelung auf alle Sach- und Personenschäden erweitert werden.
Kurt Bodewig, der den Arbeitskreis „Cannabiskonsum und Fahreignung“ leitete, wies zur Einführung u.a. darauf hin, dass die neuen gesetzlichen Regelungen zum legalen Cannabiskonsum am 10. März 2017 in Kraft getreten seien, nach den Ärzten erlaubt sei, bei schwerwiegenden Erkrankungen und fehlenden anderen Behandlungsmöglichkeiten Cannabis zu verschreiben.
In seiner Empfehlung wies der Arbeitskreis darauf hin, dass der erstmalig im Straßenverkehr auffällig gewordene, gelegentliche Cannabiskonsument nicht ohne Weiteres als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werde, sondern lediglich Zweifel an seiner Fahreignung auslöst, die er mittels einer MPU ausräumen könne. Aus dem Gebot der Verkehrssicherheit heraus sei es aber erforderlich, dass dann auch vor dem Hintergrund der Erkrankung die Fahreignung zu prüfen sei.
Die Tagung beendete Dr. Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, in einem interessanten und launigen Streitgespräch mit dem Thema „Nachschlag“.
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