Deutscher Verkehrsgerichtstag,
der 58. im Jahr 2020
Deutscher Verkehrsgerichtstag, der 58. im Jahr 2020
Stets zu Beginn des Jahres steht das seit 1963 wichtigste Get-Together für Deutsche Verkehrsrechtler in Goslar an. Vom 29. bis 31. Januar waren über 1800 Fachleute aus allen Bereichen des Verkehrssektors angereist. nicht nur Juristen, sondern auch Mediziner, Psychologen und Verkehrswissenschaftler, zudem waren Prüfgesellschaften und Automobilclubs, die Versicherer und Fahrlehrerverbände, die Politik und Verwaltung vertreten. Wie schon so häufig in den vergangenen Tagungen, stand auch diesmal die Verkehrssicherheit im Fokus, vorliegend mit dem Thema: Aggressivität im Straßenverkehr.
Am 30. Januar wurde der Verkehrsgerichtstag in der Kaiserpfalz mit der Eröffnungsansprache durch den Präsidenten Prof. Dr. Ansgar Staudinger, der dem Generalbundesanwalt a. D. Kay Nehm, der nach 20 Jahren erfolgreicher Amtszeit seine Tätigkeit als Präsident aufgegeben hatte, und der Begrüßungsansprache durch Oberbürgermeister Dr. Oliver Junk eröffnet, denen sich der interessante Plenarvortrag „Verkehrspolitik im 21. Jahrhundert“ durch den Vorsitzenden des Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur des Deutschen Bundestages Cem Özdemir anschloss.
Prof. Dr. A. Staudinger zeigte sich u.a. sehr erfreut darüber, dass nach der von Forsa durchgeführten Befragung unter Mitgliedern, Teilnehmer*innen des Verkehrsgerichtstages 2019 zu einem klaren Votum geführt habe, wobei Goslar als Tagungsort des Gerichtstages beibehalten werde. Hierüber freute er sich darauf, gemeinsam mit der Stadt Goslar im Tandem an der Fortsetzung der Erfolgsgeschichte zu arbeiten.
OB Dr. O. Jung sprach zu allererst allen Mitgliedern und Freunden des Verkehrsgerichtstags seinen Dank dafür aus, dass sie so überragend für Goslar gestimmt hätten.
Der Grünenpolitiker Cem Özdemir forderte die serienmäßige Ausstattung neuer LKW mit Abbiegeassistenten. Er hält die Technik für ein geeignetes Mittel, um Unfälle zu vermeiden. Er begrüßte, dass ab dem Jahr 2022 die Sicherheitssysteme EU-weit für alle neuen LKW Pflicht würden. Doch der Grünenpolitiker ging noch weiter: Er skizzierte in seinem Vortrag „Verkehrspolitik im 21. Jahrhundert“ eine Reform der Straßenverkehrsordnung, die bisher „ganz auf das Auto ausgelegt ist“. Eines sei klar: Für ein Nebeneinander von LKW, PKW, Fahrrädern, E-Scootern und Fußgängern „brauchen wir einfach mehr Platz“. Jeden Tag sterbe im Schnitt ein Radfahrer auf deutschen Straßen. Es dürfe in Zukunft „weder Kunststück noch Mutprobe sein, auf ein Fahrrad zu steigen“. Den Kommunen müsse das Recht eingeräumt werden, „selbstständig Verkehrssicherheitszonen einzurichten“, in die nur entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge dürfen. Er warb dafür, aus dem Autoland auch ein Fahrradland zu machen, denn eine Mehrheit der Radfahrer fühle sich auf den Straßen „nicht sicher“. Wir wollen kein Wildwest. Radfahren darf nicht zur Mutprobe werden.
Anschließend begaben sich die Vertreter verschiedener Landesverkehrswachten, so auch Mitglieder der Landesverkehrswacht Hessen, zum Hotel Achtermann, wo sie sich auf Einladung der Deutschen Verkehrswacht zu einer geselligen Mittagspause versammelten und zunächst von dem Vize-Präsidenten Hans-Joachim Hacker und danach von dem Präsidenten Kurt Bodewig begrüßt und auf ihre Teilnahme an verschiedenen Arbeitskreisen eingestimmt wurden.
Im Einzelnen sind acht Arbeitskreise vorgesehen gewesen
Der AK I befasste sich mit der grenzüberschreitenden Unfallregulierung in der EU, dessen Inhalt nicht nur die bestehenden Defizite dargestellt sondern auch Lösungsansätze aufgezeigt wurden.
U. a. stellte der AK fest, dass sich die im Interesse der Geschädigten geschaffenen Regulierungssysteme für „internationale“ Verkehrsunfälle bewährt hätten.
Der AK II befasste sich mit dem möglichen „Abschied“ vom fiktiven Schadensersatz. Der VGT hielt an seiner Auffassung fest, dass der Geschädigte seine durch einen Verkehrsunfall erfahrenen Sachschäden fiktiv abrechnen dürfe.
Im AK III ging es um die zunehmende Aggressivität im Straßenverkehr. Die Schlagzeilen über Raserunfälle, bei denen Unbeteiligte zu Tode kommen, reißen nicht ab. Nun hat die Justiz reagiert: Rücksichtslose Autofahrer, die ein Menschenleben ausgelöscht haben, werden mittlerweile auch wegen Mordes angeklagt. Doch wird die gesellschaftliche Frage dahinter ausreichend diskutiert? Was bringt Raser dazu zu rasen? Ist es die Erziehung? Hat sich das gesellschaftliche Klima verändert? Mit diesem brisanten Thema hat sich nicht nur der AK sondern auch der VGT befasst, wobei Vorschläge und Maßnahmen gegen das immer aggressivere Verhalten im Straßenverkehr beschlossen wurden.
Der AK IV beschäftigte sich mit der Praxistauglichkeit des Bußgeldverfahrens und empfahl, die Anforderungen an den standarisierten Messverfahren sowie das umfassende Einsichtsrecht in alle Daten und Messunterlagen zu kodifizieren. U. a. solle nach erfolgreicher Absolvierung einer verkehrstherapeutischen Nachschulung von einem Fahrverbot ganz oder teilweise abgesehen werden können.
Der AK V hatte sich eine Bestandsaufnahme zu den rechtlichen Bestimmungen betreffend Elektrokleinstfahrzeuge und ihrer Umsetzung vorgenommen. Der AK stellt fest, dass die für die Nutzung der EKF geltenden Regeln zu wenig bekannt seien bzw. nicht hinreichend beachtet würden. Er setzte sich nachdrücklich für mehr Öffentlichkeitsarbeit durch Information und Aufklärung ein. Gefordert wurde eine verbindliche Ausrüstung künftiger einspuriger im stehen gefahrener EKF mit Fahrtrichtungsanzeiger. Desweiteren wurde vorgeschlagen, dass das Führen eines E-Tretrollers künftig nur mit einer bestandenen Prüfung samt Prüfbescheinigung erlaubt sein solle.
Der AK VI widmete sich konkreten Fragen der Fahrkompetenz und dem System von Fahrausbildung und –Prüfung unter dem Titel „Fahranfänger - neue Wege zur Fahrkompetenz“. Befürwortet wurde eine Optionsmodell für Fahranfänger, das eine Verlängerung der Probezeit von zwei auf drei Jahre vorsehe, kombiniert mit der Möglichkeit durch freiwillige Schulungsmaßnahmen wieder auf zwei Jahre zu verkürzen.
Der AK VII setzte sich mit der Entschädigung von Opfern nach terroristischen Anschlägen auseinander. Begrüßt wurden Vorschläge zur Verbesserung des Opferschutzes in praktischer und finanzieller Hinsicht.
AK VIII befasste sich mit der Sicherheit und Passagierrechten auf Kreuzfahrten. Da die Zahl und Größe der Kreuzfahrtsschiffe stetig zugenommen hätten, müssten, so der AK, die bereits bestehenden umfassenden Sicherheitsbestimmungen und –Konzepte ständig weiter entwickelt und angepasst werden, insbesondere hinsichtlich ihrer Geeignetheit bei mehreren Tausend Personen an Bord sowie neue Risiken und Terrorgefahren.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete der „Nachschlag!“, das Streitgespräch zwischen Julia Scherf, Richterin am Amtsgericht und TV-Moderatorin, Marten Bosselmann, Rechtsanwalt und Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung der Versicherer über das aktuelle Thema: „Die knappe Ressource Parkraum – Kampf bis aufs Blut?“
Der Verkehrsgerichtstag hat zwar mehrere wichtige Empfehlungen an den Gesetzgeber verabschiedet, wobei mit neuen Maßnahmen die Aggressivität im Straßenverkehr gemildert werden solle – aber auch das wilde Parken von Paketdiensten werde zum Problem, da die Paketdienste den ohnehin knappen Parkraum zusätzlich schmälerten.
Die Einrichtung von Ladezonen für Paketlieferdienste wird nach Ansicht vom Bundesverband Paket und Expresslogistik als vordringliche Aufgabe gesehen. Experten hatten über die zunehmende Drängelei von Parkplatzsuchenden aber auch Streit unter Autofahrern in Städten berichtet, wobei das Augenmerk auf das „Zuparken“ der zweiten Reihe oder gar der Fahrbahn durch Paketdienste lag.
Unfallforscher Siegfried Brockmann betont, dass die öffentliche Infrastruktur privaten Autobesitzern zum Abstellen ihrer Fahrzeuge zu günstig überlassen werde, in der Regel sogar gratis.
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